Immer nur Grinsen ist auch nicht normal

Wenn von guter Demenzbetreuung oder -pflege die Rede ist, sind die Stichworte „Lebensqualität“, „Wohlbefinden“ und meist auch „lebenswert“ nicht weit. Dahinter verbirgt sich der Anspruch vieler Helfender, dass die betreute Person deutliche Anzeichen von Wohlbefinden und Freude zeigen sollte und das am besten dauernd. Wenn nicht, dann ist die Mission der guten Betreuung/Pflege gescheitert und es wird von den Helfenden als persönliche kleine Niederlage gewertet. Das gilt übrigens nicht nur für die Demenzbetreuung. Wenn dann in bestimmten Situationen noch Zeichen von Trauer, Angst oder auch Ärger hinzu kommen, dann wird meist tief in die zweite Schublade der Standardbegriffe gegriffen und Worte wie „Herausforderndes Verhalten“, „Schwierig im Umgang“ oder „Aggressiv“ werden herausgezogen.

Was heisst das im Kontext von Menschen mit Demenz?

Ist die Betreuung / Pflege nur gelungen, wenn die Betreuten quasi mit einem Dauergrinsen durch den Alltag gehen? Wenn sie statt zu weinen oder sich lautstark bemerkbar zu machen (z.B. wenn ihnen etwas nicht gefällt), ein fröhliches Liedchen aus ihrer Kindheit trällern oder zu einem Schlager aus der Dauerberieselung des Radiosenders, der die alten Schinken spielt, fröhlich und entrückt mit dem Fuss wippen – nur dann ist Betreuung/Pflege gut und gelungen? Welch triste und fade Vorstellung über das Leben! Wie weit weg wäre eine solche von all dem, was das „wirkliche“ Leben ausmacht! Wer von uns geht schon mit einem Dauergrinsen durch seinen Alltag (ausser in Phasen aktueller Verliebtheit, die ja bekanntermassen auch als „Durchgangs-Syndrom“ diagnostiziert werden)? Wer von uns, die wir doch von unserer geistigen Unversehrtheit ausgehen, ist dauerfröhlich? Zu einem Leben – und das findet auch statt, wenn ein Mensch an Demenz erkrankt ist – gehören Emotionen jeglicher Art. Es ist normal, dass ein Mensch Momente oder Phasen hat, in denen Traurigkeit, Melancholie oder auch Angst vor Unbekanntem die hauptsächlichen Gefühle sind. Emotionale Schwingungsfähigkeit (so nennen das die Psychologen) ist ein Zeichen von psychischer Gesundheit! Das bedeutet, dass auch in einem Leben mit Demenz dafür Platz sein darf und sogar muss, um ein gutes Leben in weitgehender (emotionaler) Normalität  zu führen. Nicht Dauergrinsen ist somit die Zielgrösse guter Betreuung/Pflege von Menschen mit Demenz, sondern das Zulassen von Emotionen und dazu gehören eben auch die negativen. Nur – und da sind Menschen mit Demenz durchaus etwas Besonderes –  darf man sie damit nicht alleine lassen!

Ein Gedanke zu “Immer nur Grinsen ist auch nicht normal

  1. Karin Hardmeier 14. Juni 2016 / 9:44

    Der Titel ist super und der Text trifft des Pudels Kern. Danke.

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